Qualität Covid19 Letzte Änderung: 29.03.2023 11:37 Uhr Lesezeit: 4 Minuten

Long Covid: Der Umgang mit der eigenen Unsicherheit ist auch für Ärztinnen und Ärzte eine Herausforderung

Eine Patientin oder ein Patient kommt mit bestimmten Symptomen in die Praxis, erhält von der Ärztin oder dem Arzt eine Diagnose, bekommt eine Behandlung oder Therapie – und dann geht es ihm oder ihr wieder besser. Das ist zumindest der Optimalfall. Bei „Long Covid“ funktioniert dieses Konzept kaum. Die Symptome sind vielfältig, die Kriterien für eine Diagnose wage, die bisherige wissenschaftliche Forschung nicht eindeutig, gezielte Therapien gibt es kaum. Das Phänomen „Long Covid“ ist aus medizinischer Sicht immer noch neu und birgt zahlreiche Herausforderungen – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Fachleute.

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© XtravaganT/AdobeStock

Die KV Nordrhein hat deswegen ein Modul für einen Qualitätszirkel zum Thema „Long Covid“ entwickelt, in dem sich Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in geschütztem Rahmen über ihre Erfahrungen austauschen können.

Dr. Hans-Helmut Brill, niedergelassener Kinder- und Jugendarzt sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeut aus Köln, hat das neue Format maßgeblich mitentwickelt. Marcus Siebolds, Professor für Medizinmanagement an der Katholischen Hochschule NRW, übernahm die wissenschaftliche Leitung des Projekts. Die beiden berichten, wie Fachleute und Patientinnen und Patienten davon profitieren.

Vorab: Was ist ein Qualitätszirkel?

Brill: Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und –therapeuten treffen sich in den Qualitätszirkeln auf freiwilliger Basis, um – wie der Name schon sagt – ihre Behandlungsqualität stetig zu verbessern. Viele von ihnen arbeiten alleine oder in kleinen Teams mit wenigen Austauschmöglichkeiten im Arbeitsalltag. In den Zirkeln können sie schwierige Fälle besprechen, sich über neue Behandlungsmethoden austauschen oder sich fachübergreifende Meinungen einholen. Die Zirkel werden jeweils von einem Moderator oder einer Moderatorin geleitet.

Wie kam es dazu, dass die KV Nordrhein ein spezielles Modul zum Thema „Long Covid“ anbietet?

Siebolds: Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Themenschwerpunkte gesetzt, sei es zum Umgang mit eigenen Fehlern oder zur Behandlung nach Leitlinien. Dafür erarbeitet ein engagiertes Team ein Konzept, wie ein Qualitätszirkel zu diesem Thema sinnvoll ablaufen könnte. Das Thema „Long Covid“ lag auf der Hand. Fast alle Fachrichtungen behandeln Betroffene. Die spezialisierten Long-Covid-Ambulanzen in den Kliniken haben lange Wartezeiten, ebenso die Reha-Kliniken. Deswegen ist es wichtig, unter den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen einen guten Umgang damit zu finden. Wir wollen auch im ambulanten Bereich eine möglichst optimale Versorgung bieten.

Wo liegen aus ärztlicher und therapeutischer Sicht die Herausforderungen?

Brill: Die Ärztinnen und Ärtze stehen vor zwei Herausforderungen. Die eine sind die medizinisch-fachlichen Fragen. Es gibt zwar jeden Tag neue Studien, aber viele Aspekte sind trotzdem noch unklar. Noch nicht einmal die Krankheitsbezeichnung ist eindeutig. Was ist Long-Covid? Was ist Post-Covid? Nach wie vielen Wochen oder Monaten kann man davon überhaupt sprechen und bei welchen Symptomen? Die Begrifflichkeiten werden selbst unter Fachleuten unterschiedlich angewendet. Auch zu den genauen Ursachen und den Therapien sind noch viele Fragen offen.
Die zweite Herausforderung ist die Kommunikation mit den Betroffenen: Wie fühlen sie sich ernst genommen? Wie können wir erklären, warum wir manche Untersuchungen veranlassen, andere aber nicht? Wie vermitteln wir Geduld und Zuversicht? Viele Long-Covid-Betroffene suchen in ihrer Sorge zig Arztpraxen auf, in der Hoffnung auf eine eindeutige Diagnose. Diese Suche wollen wir Ihnen ersparen

Siebolds: Die Psychotherapeutinnen und –therpeuten können ebenso an dem Qualitätszirkel-Modul teilnehmen. Sie haben Anfragen von Betroffenen, die unter der Situation leiden. Zum anderen stehen sie manchmal vor der Herausforderung herauszufinden: Welche psychischen Schwierigkeiten hatte die Patientin oder der Patient bereits vor der Covid-19-Erkrankung? Welche sind tatsächlich dadurch bedingt? Außerdem können die Therapeutinnen und Therapeuten ihre ärztlichen Kolleginnen und Kollegen beraten, zum Beispiel in punkto Gesprächsführung.

Was machen die Teilnehmenden im Qualitätszirkel?

Siebolds:  Wichtig ist, dass die Teilnehmenden die Herausforderungen offen ansprechen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Dafür wenden wir verschiedene Techniken an – von vertraulichen Zweier-Gesprächen bis zu Gruppendiskussionen. Ein wichtiger Bestandteil ist es auch, sich in die Rolle der Patientinnen und Patienten zu versetzen. Was würde ich mir in ihrer Situation wünschen? Was würde mich ärgern oder beruhigen?

Sie nannten das Stichwort „Geduld“. Welche Rolle spielt das bei Long Covid?

Brill: Eine sehr große Rolle! Das gilt sowohl für die Betroffenen als auch für die Behandelnden. Wir haben mit vielen Fachleuten über ihre Erfahrungen gesprochen. Sie waren sich alle einig: Der Regenerationsprozess nach einer Covid-19-Infektion dauert bei manchen Menschen relativ lang. Bei den meisten wird es mit der Zeit besser und sie können nach und nach wieder in den Alltag zurückkehren. Es gibt zwar Betroffene, die nach ein, zwei Jahren noch massive Symptome haben, aber das ist die Ausnahme. Seinem Körper mal eine Pause zur Erholung zu gönnen, sind die meisten von uns einfach nicht gewohnt. Deswegen fällt es so schwer, eine Weile nicht ‚einsatzfähig‘ zu sein. Wir wünschen allen Betroffenen eine gute Genesung.

Vielen Dank für das Gespräch.